Was ich von einem Apfelbaum lernte
Äpfel an einem Baum, der mir nicht gehörte! Durfte ich sie einfach pflücken? Ohne etwas zu bezahlen? Ohne etwas im Gegenzug zu schenken? Ohne etwas vorher dafür geleistet zu haben? Ich durfte!
Es war vor wenigen Wochen: Wir waren mit dem Auto über Land unterwegs. Und da standen sie. Auf einer Landstraße. Apfelbäume, einer neben dem anderen. Rot vor Äpfeln.
Ich war außer mir vor Glück. Ich pflückte und pflückte, aß dabei drei der Äpfel und häufte die anderen auf unserem Rücksitz auf. Immer mehr! Ich konnte gar nicht alle Äpfel pflücken (Es waren noch Hunderte von Äpfeln an den Bäumen, und auf dem Boden lagen weitere Hunderte). Ich hatte in den kommenden Wochen Äpfel über Äpfel und war nicht einmal traurig, dass etliche davon faul wurden. Es waren immer noch andere da. Ich hatte immer noch mehr als genug.
Warum das so etwas Besonderes für mich war? Nun, ich glaube an den Satz „There’s no free lunch“ (Hört sich cooler an als „Es gibt kein kostenloses Mittagessen“). Damit ist gemeint: Du bekommst nichts geschenkt. Und wenn, dann mit einem Hintergedanken. Dass du nämlich im Gegenzug etwas dafür geben oder leisten musst.
Nehmen wir den Mann, der dir eine Weinprobe anbietet. Er schenkt dir ja nicht einfach so ein Gläschen Wein. Nein, er erwartet, dass du einen Karton von dem Wein kaufst. Er will dich mit seinem Geschenk verpflichten, ihm etwas Gutes zu tun.
„There’s no free lunch“: Das gilt leider, wie ich denke, nicht nur im Geschäft, sondern auch im privaten Bereich. Natürlich bekommen wir da schon mal was geschenkt. Einfach so. Aber auf Dauer wirst du einen Freund nicht halten können, wenn du nur der Nehmende bist.
So, und jetzt kommt’s: Als Adoptierter bin ich der Überzeugung, dass dieser Satz „There’s no free lunch“ immer gilt, auch und besonders in der Familie. Ich denke, dass ich – als von der Familie Weggebener und von einer fremden Familie Aufgenommener – mir Liebe erarbeiten muss, dass ich sie nicht bedingungslos bekomme. Dass ich mir überhaupt alles erarbeiten muss. Und wenn ich einen Apfel haben möchte, dann muss ich den bezahlen. Und wenn ich ihn von Freunden geschenkt bekomme, dann muss ich ihnen eine Orange schenken oder irgendetwas Anderes.
Und jetzt dieser Apfelbaum! Großzügig ohne Ende. Ohne etwas von mir zu erwarten, außer dass ich mich an seinen Früchten bediene. Was war ich glücklich!
Ich kam ins Nachdenken: Ich glaube, es gibt es doch, dieses „free lunch“. Gottes Schöpfung steht mir kostenlos zur Verfügung. Die Sonne! „Sol lucet omnibus“ sagt der Lateiner, zu Deutsch: „Die Sonne scheint für alle.“ In der Bibel heißt es in der Bergpredigt über Gott: „Er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ (Matthäus 5,45 nach Luther 2017). Der Wald, in dem ich spaziere, die Wolken, denen ich fasziniert zuschaue, das Eichhörnchen, das in meinem Garten rumhopst – alles kostenlos für mich, ohne dass ich etwas dafür tun muss!
So, das habe ich schon mal geklärt – und nähere mich jetzt dem für mich schwierigeren Thema: Wie ist es mit meiner Familie und Freunden? Könnte es nicht doch sein, dass meine Eltern mich lieben – einfach so? Dass meine Kinder mich lieben – einfach so? Egal wie ich mich verhalte? Egal, ob ich ihnen etwas gebe oder nicht? Es fällt mir schwer, es zu glauben, aber mittlerweile denke ich, dass es auch da das ein oder andere „free lunch“ für mich gibt!
So, und jetzt ess ich wieder einen der köstlichen Äpfel!