Der Welpe in unseren Armen, der zitterte

14.12.2022

Ich habe mich immer über den Ausdruck „einen Hund adoptieren“ geärgert. Ich fand, dass dieser Ausdruck den Schmerz des adoptierten Kindes verniedlicht. Seit letzten Samstag sehe ich das anders.

Denn da waren wir, also meine Frau und zwei Kinder, nach Thüringen gefahren, um uns einen Welpen anzusehen, eine Mischung aus Großer Schweizer und Retriever. Es fing damit an, dass wir uns aufgrund der Fotos schon für einen Welpen entschieden hatten, von der Verkäuferin (von privat) aufgrund des Halsbandes „Fräulein Rosa“ genannt. Zum Charakter des Welpen hatte sie uns geschrieben:

„Oh, Fräulein Rosa ist die kleinste Dame aus unserem Wurf. Sie ist so ein kleiner aufgeweckter Wirbelwind, verschmust, aufmerksam und wie alle der Racker auch ein wenig frech… aber Sie können sich ja selbst ein Bild von ihr und den anderen machen. Wollen Sie die Kleine vielleicht kommenden Samstag oder Sonntag kennenlernen?“

Ja, diese Fräulein Rosa wollten wir natürlich kennenlernen (zuerst dachte ich, so etwas könne man über jeden Welpen schreiben, aber die Verkäuferin konnte uns beim Besuch jeden ihrer Welpen individuell charakterisieren). Ich bekam allerdings ein flaues Gefühl. Ich wollte Fräulein Rosa nicht nur deswegen nehmen, weil sie „aufgeweckt“ und „verschmust“ war. Sie sollte keine Bedingungen erfüllen müssen, um von uns aufgenommen zu werden. Das adoptierte Kind in mir wollte um seiner selbst willen geliebt werden (mehr dazu in meinem Buch in Kapitel 5). Und das sollte auch für den Welpen gelten, fand ich.

Als wir dann da waren, hieß es auf einmal: „Papa, wir können auch einen anderen Welpen mitnehmen“, und unsere Kinder nahmen drei Welpen in die engere Auswahl. Das fand ich gar nicht gut. Ich wollte jetzt Fräulein Rosa und nicht auf einmal einen anderen Welpen, weil der noch niedlicher war. Es erinnerte mich an die Situation im Heim, wo ein Paar prüfenden Blickes durch die Zimmer schreitet. Oh, Mann! Meine Kinder beruhigten mich: „Papa, der Welpe weiß doch gar nicht, ob wir ihn adoptieren wollen oder nicht!“ Ich war mir da nicht so sicher. Zum Glück blieb es schließlich bei Fräulein Rosa.

Jetzt aber zu meinem eigentlichen Thema. Wir nahmen die Welpen auf den Arm. Sie waren sehr zutraulich, schienen sich wohlzufühlen. Sogar ich, der ich vor Hunden Angst habe, wagte es, Fräulein Rosa (Arbeitstitel, sie wird einen anderen Namen bekommen, auch das ein Riesenthema bei Adoptionen) auf den Arm zu nehmen. Und dann merkte ich es: Sie zitterte. Das arme Wesen hatte ... Angst! Ich war fremd, wildfremd für sie.

Ich hatte Mitgefühl mit Fräulein Rosa. Und ich denke, jeder kann mit ihr fühlen. Nur beim adoptierten Kind, da sieht es nicht immer so aus. Da heißt es dann gerne: „Aber das Kind hat es doch besser!“ – Hey Leute, darum geht es nicht! Der Welpe zittert, egal ob er es später bei mir besser hat oder nicht. Und das Kind zittert auch.

Ein ausgewiesener Hundekenner sagte uns übrigens, wir sollten aufpassen, wie wir die Fahrt zu uns nach Hause gestalten. Denn der Welpe werde diese Fahrt, diese erste Fahrt, nie vergessen. Er riet uns davon ab, ihn in einen Karton oder Korb zu legen, weil er dann Zeit seines Lebens Angst vor Kartons und Körben haben könnte.

Ich denke, dafür hat jeder Verständnis. Wer aber hat Verständnis für das zitternde Kind? Den adoptierenden Eltern, sofern zuvor kinderlos, wird das schwer fallen. Für sie ist die Heimfahrt, die erste Fahrt, ein wunderbares Ereignis, wie ich oft genug gelesen habe, und das kann ich verstehen. Aber das Kind zittert.

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