„Kinder sind doch keine Kuscheltiere, die man im Laden kauft oder aus dem Tierheim abholt“

30.12.2022

Ich sprach gestern mit Petra Welkers, 57. Sie ist Autorin des Buches „Geburtsgeheimnis. Adoption im Spiegel von Geschichte und Therapie“, einer Mischung aus Autobiographie, Sachbuch und Märchen. Wenn ihr Buch so gut ist wie mein Gespräch mit ihr, solltest du es lesen! Ich habe es soeben bestellt.

Petra wurde zweimal adoptiert. Ihre erste Adoptivmutter nennt sie „Pflegeoma“: 54 Jahre war diese alt, als Petra mit knapp einem Jahr zu ihr kam. 13 Jahre später wurde Petra von ihr adoptiert. „Ich habe sie abgelehnt“, erzählte sie mir. „Es gab keine Wärme“.

Weitere 28 Jahre später, sie war 42, wurde sie ein zweites Mal adoptiert – von den „Eltern meines Herzens“, wie Petra sie mir gegenüber nannte. Und wer waren die Eltern ihres Herzens? Ihre Stiefschwester und deren Ehemann. Ihre Stimme wird warm, wenn sie von ihnen spricht.

Ihre ersten Eltern hat sie nie kennengelernt. Sie suchte nach ihnen und fand sie. Oder sagen wir besser: Sie fand Urkunden und Namen. Denn sie waren schon Jahre früher verstorben.

Die Sehnsucht nach dem zweiten Kind

Doch spulen wir einige Jahre zurück: Sie heiratete, bekam ein Kind. Sie wollte ein zweites, aber das kam nicht.

Petra erwog eine Adoption, ihr Mann war dagegen.

Was tun? Reproduktionsmedizin kam für sie nicht in Frage.

Sie ließ ihren Kinderwunsch los.

Und zwei Jahre später ... kam das zweite Kind. Eine Blockade war gelöst. Ein nicht untypisches Phänomen, so sehr „nicht untypisch“, dass Jugendämter schon mal kinderlosen Paaren, die ein Kind adoptieren, empfehlen, diesem zuliebe erst einmal zu verhüten.

Petra hatte auch eine Empfehlung bekommen, und zwar von ihrer Ärztin: „Machen Sie doch einfach was anderes! Überlegen Sie sich neue Ziele!“ Was Petra denn auch tat. Sie trat eine neue Stelle an, mit mehr Verantwortung.

Und noch eine Empfehlung bekam sie von ihrer Ärztin: „Legen Sie sich ein Haustier zu!“ Ihr Mann und sie entschieden sich, einen Hund aufzunehmen, einen Cairn Terrier.

„Das war die richtige Entscheidung! Denn ein adoptiertes Kind ist keine Projektionsfläche für unverarbeitete Trauer um das nicht geborene leibliche Kind“, sagte Petra mir.

„Kinder sind doch keine Kuscheltiere, die man im Laden kauft oder aus dem Tierheim abholt.“ Sie erschrak selbst über diese Formulierung. Doch die hört sich schärfer an als von ihr gemeint.


Der Schmerz des unerfüllten Kinderwunsches

Erstens hat sie selbst so gehandelt und kennt beide Perspektiven, die des Kindes und die der Mutter. „Unerfüllter Kinderwunsch kann für Frauen und Paare eine Katastrophe sein. Ich kann diesen Schmerz mitfühlen“, sagte sie mir.

Und zweitens ist Petra nicht aus dem Holz geschnitzt, dass sie anderen von oben herab kluge Ratschläge erteilt. Woher ich das weiß? Petra hat mir im Vertrauen einiges gesagt, was sie nicht veröffentlicht sehen will. Sie hat mir etliches aus meinem Text rausgestrichen. Aus Rücksicht.

Aber ich denke, es ist mehr als Rücksicht. Petra ist eine Frau mit Herz, so habe ich sie im Gespräch erlebt. Sie kann sich gut in andere hineinversetzen, auch in ihre Pflegeoma.

Sie hat sie jedenfalls mir gegenüber in Schutz genommen. Ich habe es so wahrgenommen: Was sie ihrer Pflegemutter gegenüber empfindet, ist wie ihr Buch eine Mischung. Eine Mischung aus Ablehnung, Rücksicht – und Liebe.

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