Reden über die ersten Eltern: Die Balance finden

29.03.2023

Ich plädiere gerne dafür, dass Pflege- und Adoptiveltern auch gut über die ersten Eltern ihres Kindes reden. Eigentlich ist damit schon alles gesagt. Denn ich habe nicht einfach geschrieben „gut reden“, sondern „auch gut reden“, will heißen: „nicht die schlimmen Seiten verschweigen“.

Dennoch möchte ich darauf näher eingehen, da mich eine Pflegemutter heute darauf ansprach. Sie ist Mutter eines 10-jährigen Sohnes, der als 1-Jähriger schwer traumatisiert zu ihrem Mann und ihr in die Familie kam. Ich mag gar nicht näher beschreiben, was dem kleinen Jungen von seinen ersten Eltern angetan worden war.

Ich kann seine Mutter gut verstehen, dass sie ein Problem damit hatte, mich in einem Radio-Interview sagen zu hören, dass die Adoptiv- und Pflegeeltern doch bitte positiv über die ersten Eltern reden mögen. (Ich fürchte, ich habe dabei unglücklicherweise das Wort „auch“ vergessen zu sagen.)

„Unser Junge braucht Abstand zu seinen Eltern und Schutz vor ihnen. Die wird jedem Opfer von Gewalt zugestanden, nur bei Pflegekindern sieht das oft anders aus“, sagte sie mir.

Ich bin ganz bei ihr. Das Verhalten solcher Eltern dem Kind gegenüber nur positiv zu zeichnen, hätte verheerende Folgen. Nein, das Böse, das die Eltern dem Kind angetan haben, muss benannt werden dürfen. Das gibt dem Kind Sicherheit. (Dass es darüberhinaus Konsequenzen geben muss wie Besuch nur unter Aufsicht bis hin zu Kontaktverbot, ist ein anderes Thema.)

Überhaupt ist mir klar – und das betone ich, so oft es geht – dass es in der ersten Familie des Kindes, vorsichtig gesagt, große Probleme gegeben haben muss. Sonst wäre es nicht von ihr weggegeben oder aus ihr vom Jugendamt entfernt worden.

Gleichwohl ist es für mich als adoptiertes Kind wichtig, dass über meine Eltern auch positiv gesprochen wird. Wenn ich nur Schlechtes über sie höre (das kann auch non-verbal geschehen!) oder auch gar nichts, dann macht das etwas mit meinem Selbstwertgefühl.

Das sehe ich übrigens, wenn wir über Balance reden, als die größere Gefahr an: dass die Adoptiv- und Pflegeeltern zu schlecht oder zu wenig positiv über die ersten Eltern sprechen. Anlass dafür mag es genug geben und die Versuchung mag groß sein, aber dennoch: Redet auch positiv über meine Eltern! Und es würde mich freuen, wenn euch mehr einfällt als nur „Sie haben dich geboren.“

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