Nicht jede Sekunde wichtig
Ich habe gut überlegt, mit welchem Zitat aus der Literatur ich hier starte. Und ich glaube, ich habe ein passendes gefunden, hier ist es:
„Also meistens ist es Paule ziemlich egal, aus welchem Bauch er gekommen ist, aber manchmal eben auch nicht.“
(Kirsten Boie: Paule ist ein Glücksgriff, Hamburg 2010, 9.)
Das trifft es gut, wie ich finde.
Ich möchte nicht, dass hier auf der Website der Eindruck entsteht, mein ganzes Leben bestehe aus Adoption. Dass sie das einzige Thema sei, das mich tagein, tagaus beschäftigt.
Es liegt in der Natur dieser Website, dass ich hier nur über Pflege und Adoption berichte. Das nennt man Fokus. Und der ist wichtig, damit diese Website die gewünschte Zielgruppe anspricht.
Doch ich habe wie jeder Mensch viele Leben. Ich bin Seminarleiter, Buchautor, Arbeitgeber, Ehemann, Vater, Nachbar, SC-Freiburg-Fan, Bahnfahrer, Dostojewskij-Verehrer, Spaghetti-Kocher, Kaminfreund usw. usw.
Es gibt zwei Extreme: gar nicht „daran“ zu denken – und immer daran zu denken. Ich habe in meinem Leben beide Extreme gelebt: jahrzehntelang in Verdrängung das erste und dann, als ich aufgewacht bin, lange Zeit das zweite.
Ich denke, beide Extreme sind auf ihre Weise schädlich. Das erste, weil es mich nicht weiterbringt, und das zweite ... auch das bringt mich nicht weiter. Verdrängung löst die Probleme nicht, sondern verschiebt sie nur und macht sie sogar noch größer. Und eine zu intensive Beschäftigung macht mich blind für den Reichtum des Lebens und hält mich davon ab, weitere spannende Dinge zu erleben und meinen Beitrag in dieser Welt so zu leisten, wie es mir eigentlich möglich ist.
Die Autoren Brodzinsky / Schechter / Marantz Henig, nicht adoptiert, haben eine schöne Metapher geprägt. Die Beschäftigung mit der Adoption gleiche dem Umgang mit einer Hutbox im Schrank. Mit der beschäftige man sich ja auch nicht jeden Tag, sondern zwischendurch öffne man sie und gehe den Inhalt durch. (David M. Brodzinsky / Marshall D. Schechter / Robin Marantz Henig: Being Adopted. The Lifelong Search for Self, New York 1992, 22.)
Das hört sich doch nach einem gesunden Mittelmaß an, oder? Ich versuche, dieses gesunde Mittelmaß zu gewinnen (wenn es denn bei diesem Thema möglich ist), und hoffe, dass mir das gelingt. Wenn ich nicht gerade für diese Website oder an meinem Buch schreibe, dann kann ich im Moment für mich sagen:
Meistens ist es mir ziemlich egal, aus welchem Bauch ich gekommen bin, aber manchmal eben auch nicht.
Und über dieses „manchmal“ schreibe ich hier.
Und wenn du mal etwas anderes von mir lesen möchtest, dann schau doch mal vorbei auf www.meistertricks.de oder www.salomo.de.